Qualitative Inhaltsanalyse nach Gläser und Laudel – einfach in 3 Schritten zusammengefasst

Inhaltsanalyse nach Gläser und Laudel Frau diskutiert am Rechner

Jochen Gläser und Grit Laudel haben mit Ihrem Buch “Experteninterviews und Qualitative Inhaltsanalyse” einen eigenen und sehr speziellen Ansatz der qualitativen Inhaltsanalyse vorgestellt. Speziell daran ist sowohl das Interesse am Text als auch die Aufbereitung des Materials, die sogenannte Extraktion. Hier nun mein Versuch, die Grundlagen dieses Verfahren möglichst kompakt und einfach zu erklären:

Besonderes Forschungsinteresse

Nicht nur für Expert:inneninterviews

Aufbereitung des Textes durch Extraktion

Wie kann das in QDA-Software aussehen?

Extraktion “light”?

Fazit

 

Besonderes Forschungsinteresse

Das besondere Interesse an von Gläser und Laudel gilt Handlungsabläufen, wie sie beispielsweise in biographischen Erzählungen vorkommen. Also Verläufe wie:

Erst ist mir das passiert, dann ist deswegen jenes passiert und daraus hat sich dann folgendes entwickelt.”

Solche Kausalketten sind schwer in einem hierarchischem Codesystem abzubilden. In einem hierarchischem Codesystem würden solche Ketten schnell dafür sorgen dass das Codesystem riesengroß und unübersichtlich wird. Um diese Kausalketten beizubehalten werden bei der sog. Extraktion zu jeder Textstelle Schlagworte zu den jeweils interessanten Dimensionen notiert und dann mit diesem Material weiter gearbeitet.

Nicht nur für Expert:innenterviews

Ich kann es mir nicht verkneifen hier ein wenig über den Buchtitel zu jammern: Die Verknüpfung von “Experteninterviews und Qualitative Inhaltsanalyse” kann leider auf zwei Arten missverstanden werden: a) Wenn man Expert:inneninterviews führt muss man selbstverständlich nicht unbedingt nach Gläser und Laudel arbeiten.  Das Verfahren ist sehr komplex und gerade für Einsteiger:innen in die Qualitative Inhaltsanalyse ein (häufig zu) dickes Brett. Viel bedauerlicher finde ich jedoch, dass b) der Titel auch missverstanden werden kann, dass das Verfahren ausschließlich für Expert:inneninterviews anwendbar ist. Das scheint mir nicht so. Also die Verknüpfung “UND” im Titel bitte nicht so lesen wie bei “Romeo und Julia”, sondern eher wie bei “Hund und Katze”. Es handelt sich um zwei an sich eigenständige Themen: Materialart und Methode. Passender – wenn auch gleichsam kryptischer – wäre wohl der Titel: “Qualitative Inhaltsanalyse mittels Extraktion“. Denn die Extraktion ist der besondere Arbeitsschritt den Gläser und Laudel erarbeitet haben und der das Verfahren so besonders macht.

Aufbereitung des Textes durch Extraktion

Verkürzt ausgedruckt: Notiere dir dir systematisch die relevanten Informationen aus jeder passenden Textstelle und arbeite dann damit weiter. Ich fasse das mal in 3 Schritte:

  1. Bilde Kategorien und Dimensionen
  2. Identifiziere Textstellen, die dir bei der Beantwortung helfen und notiere hierzu die jeweiligen Dimensionen.
  3. Bereite den extrahierten Text als Tabelle auf.

1. Kategorien und Dimensionen bilden

Die Inhaltsanalyse per Extraktion arbeitet grundlegend mit deduktiven bzw. a-proiri Kategorien. D.h. du machst dir zu Beginn -bestenfalls auf Basis eines theoretischen Konzeptes – Gedanken über die Möglichen beeinflussenden Kategorien und deren Dimensionen. Kategorien sind dabei so etwas wie Oberthemen, also zum Beispiel “Soziale Beziehungen”, “Technische Möglichkeiten”… etc.. Dazu gehört natürlich stets eine kleine Definition, was man darunter versteht und woran das Thema es im Text erkennt. Dimensionen wären dann entsprechende Ausprägungen die dich an allen Kategorien interessieren. Zum Beispiel: Ursachen, Wirkungen, beteiligte Akteure, Zeitpunkt, verschiedene inhaltliche Ebenen. Als Bild hilfreich: Ich erstelle zu jedem Thema bzw. Kategorie eine Tabelle mit den Dimensionen als Spalten.

Kategorie: Soziale Beziehung

Ursachen Wirkungen Akteure Zeitpunkt Beziehung der Akteure Sachthema Textstelle

 

2. Textstellen identifizieren und Dimensionen notieren

Für jede relevante Textstelle notiere nun in die in der Textstelle enthaltenen Informationen in die passende Tabelle.

z.B. “Ach und dann habe ich mir letztes Jahr wegen meiner Mutter eben auch mit vielen Problemen Whatsapp installiert, um mit ihr Urlaubsphotos auszutauschen.” wird zu:

Kategorie: Soziale Beziehung

Ursachen Wirkungen Akteure Zeitpunkt Beziehung der Akteure Sachthema Textstelle
Installation Messenger Austausch von Photos Mutter 2020 Familie gemeinsamer Urlaub l1, Abs. 3

Manche Felder können dabei leer bleiben, und manche Textstellen können auch in mehrere Kategorien einsortiert werden. Die gleiche Textstelle wäre ggf. auch in der Kategorie “Technische Probleme” einzusortieren, aber mit “Installation von Whatsapp” als Sachebene.

In dieser Phase sind nun – wie bei qualitativen Verfahren üblich – auch induktive “Schleifen” möglich: Wenn man bei der Arbeit mit dem Material bemerkt, dass wichtige Aspekte in Schritt 1 nicht berücksichtigt wurden geht man einen Schritt zurück und ergänzt oder korrigiert.

3. Tabellen für fallbasierte Auswertung nutzen

Man Erhält also Tabellen in der die genannten Aspekte innerhalb einer Spalte stets kausal miteinander verknüpft sind. Jede Spalte liefert mir also eine Argumentationsstrang aus der Erzählung meiner Interviewpartner:innen. Und da man Tabellen beliebig sortieren kann, kann ich mir später alle Kausalketten z.B. zu einem Bestimmten Interview oder einem Sachthema im Überblick anschauen.

Die Auswertung der so aufbereiteten Textstellen erfolgt dann also indem Man sich verschiedene Tabellen zusammenstell. Gläser und Laudel erstellen beispielsweise Fallbeschreibungen für einzelne Personen, und darauf aufbauend anschließend die Zusammenfassung der Biographien von Personen aus dem gleichen (Sport-)Bereich.  Man kann die Tabellen auch nach verschiedenen Kriterien sortieren: Wenn man z.B. “Zeitpunkt” als Dimension aufgenommen hat kann man die Tabelle dementsprechend chronologisch ordnen. Und so eine Zusammenfassung des zeitlichen Ablaufs erstellen.

Bezüglich konkreter Auswertungsmöglichkeiten liefern Gläser und Laudel einige Beispiele, bleiben aber gleichzeitig sehr offen und sprechen von einer “Vielzahl von Tabellen”. Dies zeigt eine große Offenheit der Anwendungsmöglichkeiten ist jedoch gerade für Einsteiger:innen in Qualitative Inhaltsanalyse dadurch sehr anspruchsvoll.

Wie kann das in QDA Software aussehen

Das ist der eigentliche Ausgangspunkt, warum ich diesen Artikel schreibe. Recht häufig werde ich gefragt, wie man denn die Inhaltsanalyse durch Extraktion in f4analyse abbilden kann.

f4analyse kann Ergebnisse als Tabelle exportieren, ist daher grundsätzlich anschlussfähig für die Qualitative Inhaltsanalyse mittels Extraktion. Bei der Arbeit in f4analyse bleibt die Original-Textstelle sehr eng mit der Extraktion verbunden, wodurch ein guter Rückbezug auf die Original-Textstelle gewährleistet ist. Die eine übersichtliche und passende Tabelle zu erstellen ist jedoch in der Tat eine Herausforderung. Hierzu müssen Funktionen aus f4analyse und Word genutzt werden. Also, los gehts, jetzt wirds kreativ und spannend:

Sammlung und Codierung in f4analyse

Vor jeden Textnamen setze ich ein Semikolon. Klingt seltsam, sieht auch so aus, wir brauchen dieses Semikolon später um in Word schöne Tabellen zu erzeugen. Dann lege ich die Kategorien als Codes an.  Definition, Indikatoren und Dimensionen notiere ich im jeweiligen Kommentarfeld. Anschließend lese ich den Text. Stoße ich auf eine passende Textstelle markiere ich diese und schreibe die Beschreibung der einzelnen Dimensionen hier hinein. Hierbei ist wichtig, dass ich immer die gleiche Reihenfolge einhalte und die einzelnen Dimensionen immer mit Semikolon trenne und auch ans Ende ein Semikolon setze. Sollte eine Dimension unerwähnt bleiben muss ich diese mit einem Platzhalter, z.B. “-” aufschreiben.  Diese komplette Extraktion codiere ich dann zur passenden Kategorie. Sollte eine Textstelle zu zwei Kategorien passen schreibe ich zwei Zeilen untereinander und codiere diese getrennt voneinander zu den entsprechenden Kategorien.

Aufbereitung als Tabelle in Word

Nachdem alle Textstellen codiert wurden nutze ich den Export zu Word über den Export-Button und “Codes und Codierungen”. Hier sind nun in einem Worddokument alle Extraktionen nach Themen sortiert aufgelistet. Für eine schöne Tabelle markiere ich alle Passagen eines Codes, klicke in Word auf “Einfügen – Tabelle” und wähle dort “Text in Tabelle “. Wer sich bisher gefragt hat was das mit den Semikolons auf sich hat wird hier nun sein “Aha” erleben. In dem aufploppenden Menü kann man nämlich das Semikolon auswählen bei der Option “Text trennen“.

Und schon wandelt sich alles in eine schöne Tabelle. Ggf. kann man über “suchen und ersetzen” noch die Anführungszeichen entfernen. Zugegeben auf Anhieb schaut diese von Word erstelle Tabelle noch ein wenig gequetscht aus, man sollte Querformat einstellen und ein wenig an den Abständen der Spalten herumziehen, .  Über den Tab “Layout” kann man die Inhalte nun in Word auch sortieren.

 

So weit die Extraktion, die ganz nah am Buch eine Auflistung der Extraktionen in Tabellenform ermöglicht.

Für alle, die sich nicht vor der Arbeit mit Word-Makros scheuen: Grit Laudel bietet auf Ihrer Webseite auch ein Makro für die Arbeit direkt in Word an, das Gläser und Laudel wohl auch in Ihrer Veröffentlichung genutzt haben.

Extraktion “light”?

Ich persönlich vermeide wann immer möglich die Arbeit mit Tabellen in Word. Daher schlage ich ganz pragmatisch vor, die Auswertung in f4analyse vorzunehmen. Hierzu kann man wie oben verfahren, mit dem Unterschied, dass man die Ergebnisse nicht als Tabelle exportiert, sondern direkt in f4analyse anschaut. Im Tab “Selektion” kann ich nämlich gezielt codierte Textstellen aufrufen und so z.B. alle Extraktionen von einem Interview zu einem bestimmten Thema anschauen. Im Kommentarfeld darunter kann ich auf dieser Basis eine Fallzusammenfassung erstellen. Zunächst zum einen Thema, dann zum nächsten.

Über den Schalter “Vergleich A/B” kann ich auch  Extraktionen aus zwei Interviews nebeneinander aufrufen und so vergleichen. Im Kommentarfeld darunter kann ich wiederum meine Erkenntnisse festhalten. Oder ich fasse verschiedene Texte zu Gruppen zusammen und stelle diese nebeneinander. Oder ich stelle zwei Themen nebeneinander und vergleiche die Extraktionen. Es gibt hier viele Möglichkeiten, das Material gezielt anzuschauen. Lediglich die Sortierung nach bestimmten Dimensionen ist in f4analyse nicht möglich.

 

Fazit

Die Arbeit mit Extraktion nach Gläser und Laudel ist definitiv etwas für Fans von Tabellen. Die Aufbereitung der Extraktion in Tabellenform ist leider nicht trivial und erfordert einen nicht zu unterschätzenden Aufwand und entsprechende Formatierungs-Fertigkeiten in Word. Wer es dennoch wie beschrieben vornehmen möchte kann das Material in f4analyse entsprechend vorbereiten und dann je nach Interesse als Tabelle exportieren oder in f4analyse zusammenfassen.

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