Transkription

Transkriptionssysteme beim Abtippen und “hm…äh, warum sie äh hilfreich sind.”

07. Dezember 2020 4 minutes Lesezeit

Transkription – also das Übertragen einer Audio- oder Videoaufnahme in schriftliche Form – soll dabei helfen, die flüchtige Form eines Gespräches für die spätere Analyse schriftlich festzuhalten. Und zwar möglichst genau. Leider ist unsere Schriftsprache gar nicht darauf ausgelegt, die eben erwähnten phonetischen Feinheiten in ihrer Gänze auszudrücken. In vielen Fällen ist es bei Interviews sinnvoll, nicht nur die bedeutungstragenden Wörter zu transkribieren, sondern auch die sogenannten Zögerungslaute oder Diskurspartikeln wie „hm“ oder „äh“. Diese können bei einer Aussage von großer Relevanz sein.

Stell Dir vor, die interviewte Person antwortet auf eine Frage fröhlich lachend und bestimmt mit „JA!“ .  Oder vielleicht spricht sie eher zögerlich und unsicher mit „Hm … ähm … tja … (Räuspern) … jo“? Beides könnte man als “Ja” tippen, Wie genau tippt man eine solche Passage also möglichst „genau“?

Context is for Kings

Wenn im Transkript des obigen Beispiels nur ein „Ja“ steht, komme ich vielleicht zu einer falschen Bewertung der Situation. Nicht nur der semantische Inhalt, sondern auch die Art, wie er geäußert wird und in welchem sozialen Kontext, ist hier wichtig. Ganz im Sinne des Titels der „Star Treck: Discovery“-Episode: „Context is for Kings“. Denkt man dieses Beispiel weiter, hieße das, dass man möglichst alles tippen sollte, was irgendwie mit dem Gespräch zu tun hat. Der Hintergrund, die Sprachmelodie, die Mimik (falls man ein Video hat), alle Pausen, alle nicht-sprachlichen Geräusche. Ist das die Lösung?

Leider nein, denn man kann natürlich, allein in Anbetracht der endlichen Zeitressourcen, nicht alles aufschreiben, man muss sich also auf bestimmte Aspekte konzentrieren. Wie bei der Verfilmung eines Buches stets Details fehlen werden wird das Transkript nie alle Details des Gesprächs wiedergeben. Man muss also immer Entscheidungen treffen, welche Elmente man berücksichtigt und welche nicht. Und mit diesen Entscheidungen bestimmt man ganz maßgeblich natürlich die Möglichkeiten der späteren Analyse. Genau dieser Punkt führt Elinore Ochs zu der Aussage:

“Transcription is theory” (Ochs 1979)

Aber welche Elemtente des Gesprächs sind jetzt eigentlich wichtig, welche beachtet man und wie hält man diese fest? Genau diese Frage beantworten sogenannte Transkriptionssysteme oder Transkriptionsregeln. Diese Regeln legen fest, welche Aspekte des Gesprächs beachtet werden und mit welchen Zeichen das dann auch getippt wird. Bei einfachen Transkripten finden sich neben den gesprochenen Beiträgen meist nur wenige Angaben zu para- und nonverbalen Ereignissen. Man liest in der Regel dort einen in Hochdeutsch geglätteten Text. Hier liegt der Fokus auf einer guten Lesbarkeit, leichter Erlernbarkeit der Regeln und nicht zu umfangreicher Umsetzungsdauer. Bei solchen Transkriptionsregeln liegt die Priorität auf dem semantischen Inhalt des Gesprächs.

Entscheidungen auf Detailebene

Ein detailliertes Transkript ist dann nötig, wenn es bei der Analyse nicht nur um den semantischen Inhalt eines Gesprächs geht. Es wird dann beispielsweise genauer auf die Tonhöhenverläufe, Nebenakzente, Lautstärke und Sprechgeschwindigkeit eingegangen. Das sieht dann beispielsweise so aus:

I: Also PLANEN Sie Entlassungen? #00:32:02-0#
B: ähm ( …) also (husten) nein. Wir werden //die Ausga- #00:36:03-4#

Wie so häufig in der Forschung gibt es hier also nicht DAS Standardinstrument, sondern man darf bzw. muss seine Entscheidung abhängig von Forschungsansatz und Erkenntnisinteresse treffen.

Wichtige Fragen sind:

  • Glättung: Schreibe ich z.B. „hammermal“ oder eher ein hochdeutsches „haben wir mal“?
  • Zögerungslaute: Schreibe ich z.B. „ja“ oder „ähm, ja“?
  • Pausen: Schreibe ich „ja“, oder „(…) ja“ oder vielleicht sogar „(… 5 Sek … ) ja“?

Eine ganz gute Frage zur Selbstreflexion könnte sein: „Welche Fehlschlüsse könnte ich treffen, wenn ich X nicht aufschreibe?“ Und für X setzt man wahlweise: Pausen, Zögerungslaute, Dialekt, …

Nicht wird so heiss gegessen…

Zugegeben: Transkripton ist wichtig und man sollte sich unbedingt bewusst sein, dass man hier bereits vor der Analyse wichtige Entscheidungen trifft. Dennoch ist sie ist letztlich nur ein Zwischenschritt zur Analyse. Für die Inhaltsanalyse, die auf inhaltlich-semantischer Ebene arbeitet, haben wir ein Transkriptionssystem formuliert, das unserer Überzeugung nach ein gutes Gleichgewicht zwischen Arbeitsaufwand, Detailgrad und Lesbarkeit hält. Zu finden in unserem Praxisbuch ab Seite 20.

Da wir uns täglich mit Transkription herumschlagen, ist es für uns ein ganz spannendes Thema, zu dem es viel zu erzählen gibt. So haben wir für alle, die es methodologisch genau wissen möchten alle Entscheidungsebenen innerhalb verschiedenster Transkriptionssysteme in einem eigenen Artikel aufgeschlüsselt. Das muss man allerdings etwa für eine Bachelorthesis sicherlich nicht unbedingt so detailliert beachten. Im Ergebnisbericht kommt es jedoch auf jeden Fall gut an, wenn man einen kleinen Absatz zum Transkriptionssystem schreibt. Damit zeigt man, dass man sich der Problematik bewusst ist, dass die Transkription einen Einfluss auf die Auswertung hat und dass man sich damit beschäftigt hat.

Fazit: Nicht ohne Transkriptionssystem

In jedem Fall ist ein Transkriptionssystem eine wertvolle Hilfestellung. Es macht den Prozess der Transkription transparent. Hat man sich einmal festgelegt, muss man sich zudem nicht ständig Gedanken darüber machen, ob man ein Zögern nun mit „ähm“ oder „em“ oder gar nicht aufschreibt. Also DON’T: einfach drauflos tippen. DO: System raussuchen und sich danach richten.

Ochs, E. (1979). Transcription as theory. In E. Ochs & B. B. Schieffelin (Hrsg.), Developmental pragmatics (S. 43–72). New York: Academic Press.

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